Zeitungsartikel Wirtschaft in Sachsen: Gelassenheit gegen den Knick

 

Stavros Mitrakis, Chef der Dresdner JOYNEXT GmbH, hatte ohnehin reichlich damit zu tun, die neue Organisationsstruktur vor Ort umzusetzen. Dann kam Corona.

Der Corona-Knick, sagt Stavros Mitrakis, sei „brutal“ gewesen. Im März: minus 30 Prozent. Im April: minus 80 Prozent. „Unsere Cash-Burn-Rate hat schon ein schwieriges Niveau erreicht“, sagt der Manager. Zudem hätten die durch die Pandemie bedingten Einschränkungen dem Unternehmen Herausforderungen beschert, auf die es „nicht im Traum“ eingerichtet gewesen sei: „Wir entwickeln hier“, sagt der 48-Jährige trocken. „Das ist vor allem Teamarbeit im direkten Kontakt – da ist Homeoffice oft nicht die probate Arbeitsweise“.

Dass der Geschäftsführer der Dresdner JOYNEXT GmbH dennoch nicht unzufrieden wirkt, findet er selbst „bemerkenswert“. Das hat zum einen damit zu tun, dass die Zusammenarbeit seiner Ingenieure vom heimischen Schreibtisch weitaus besser funktionierte, als Mitrakis befürchtet hatte. Zudem zeigt die Umsatz-Kurve inzwischen wieder aufwärts: Im Mai waren es im Vergleich zum Vorjahr noch reichlich 50 Prozent Umsatzeinbuße, und auch die Juni-Ergebnisse zeigten einen „Trend zurück zur Normalität“. Für das Gesamtjahr geht der Manager von einem Umsatz- und Ergebnisrückgang von gut 20 Prozent aus – „derzeit, wohlgemerkt“. Gleichwohl habe er „nicht einmal Kurzarbeit anmelden müssen“ – die Auslastung sei „brauchbar“ und auch das, was Mitrakis die „Pipeline“ nennt, ist gut gefüllt: Die Firma hat bei mehreren großen Projekten großer Hersteller zumindest einen Fuß in der Tür.

Zum anderen hat die relative Gelassenheit von Mitrakis damit zu tun, dass er auch mit den neuen Strukturen, in denen er und seine gut 600 Mitarbeiter im Dresdner Industriegebiet Merbitz seit Mai arbeiten, zufrieden ist. „Wir haben gewissermaßen die Mutter gewechselt“, sagt Mitrakis. Die Entwicklungsschmiede für Autoelektronik, deren Wurzeln sich bis auf das „Zentrallaboratorium für Rundfunk- und Fernsehtechnik“ der DDR zurückführen lassen, war nach der Wende eine Tochter der Satellitenfernsehtechnik-Firma Technisat und wurde 2016 an die chinesische Joyson Electronic Corporation und deren deutsche Tochter Preh GmbH verkauft. Auch als „Preh Car Connect“ entwickelt man, vor allem für den Volkswagen-Konzern und seine Marken, Produkte und Softwarelösungen für Navigation, Fahrzeugvernetzung und Telematik. Zum Mai nun hat der Joyson-Konzern sein internes Gefüge verändert und mit „JOYNEXT“ eine neue Geschäftseinheit gegründet, die sich auf die Bereiche „Car Infotainment und Connectivity“ konzentriert. Unter deren Dach seien die „Preh Car Connect einschließlich dem Produktionsstandort Oborniki/Polen sowie weitere Teams von Spezialisten in China, Japan und Korea“ zusammengeführt, heißt es in der Pressemitteilung.

Hauptsitz von JOYNEXT ist nun Ningbo in China, die Bedeutung des Dresdner Standorts sieht Stavros Mitrakis, der dort seit Januar 2017 die Geschicke führt, indes „deutlich gewachsen“. Nicht nur, weil er jetzt protokollarisch auch Vize-Chef der nun deutlich größeren Gesamtfirma ist und Dresden als Europa-Hauptquartier firmiert. Hier bleibe der „zentrale Standort für Forschung und Entwicklung mit großen Zukunftschancen“, betont die Joyson-Holding.

Für Stavros Mitrakis ist Vernetzung „das entscheidende Thema“. Schließlich, sagt er, sei das Auto „längst nicht mehr nur ein Transportmittel“. Vielmehr handele es sich mittlerweile „um ein Multimediasystem, das vollständig mit dem Internet der Dinge verbunden und vernetzt“ ist.  Das lässt sich auch an den Arbeitsschwerpunkten in Dresden Merbitz ablesen: Waren es zu Beginn der Technisat-Ära noch einzelne Navigationsgeräte, geht es heute um Cloud-Lösungen und die Datenkommunikation des Fahrzeugs mit mobilen Geräten wie Smartphones, mit anderen Fahrzeugen oder, in der nächsten Stufe, mit anderen Bestandteilen der Verkehrs-Infrastruktur – wie etwa Ampeln. An diesen im Branchen-Jargon „V to X“ genannten Anwendungen, die eine wichtige Voraussetzung für Autonomes Fahren sind, entwickelt JOYNEXT mit. Und hier, sagt Stavros Mitrakis, könne man auch davon profitieren, dass auf dem „ausgesprochen technologie-affinen chinesischen Markt“ manches schneller gehe. Erfahrung mit den unterschiedlichen Marktanforderungen hat Mitrakis Team ohnehin schon lange: Für den aktuellen VW Passat haben die Dresdner Software-Spezialisten und Ingenieure die Navigations- und Vernetzungsarchitektur sowohl für den europäischen als auch für den chinesischen Markt entwickelt. Auch ein wichtiger Teil des Navigations-Know-Hows weiterer aktueller Konzern-Modelle kommt aus Dresden – hier trat JOYNEXT in der Kette noch einen Schritt zurück und ist Zulieferer eines Zulieferers.

Geht es nach Mitrakis, kann sich das in Zukunft ändern. „Wir müssen uns jedenfalls nicht verstecken“, sagt er selbstbewusst. Denn auch das gehört zur Strategie der JOYNEXT: die Sichtbarkeit im Markt zu erhöhen. Über die Joyson-Gruppe gibt es bereits vielfältige Kontakte zu chinesischen, japanischen, amerikanischen und europäischen Autoherstellern. Als Teil eines chinesischen Konzerns, sagt Mitrakis, sei es zudem wesentlich einfacher, chinesische Partner für Pilotprojekte zu gewinnen, etwa beim Thema „V to X“. Verliefen die erfolgreich, können sie als „Türöffner“ für andere Märkte und Hersteller funktionieren. Im Detail will sich der Manager nicht zu tief in die Karten schauen lassen – deutet aber an, dass diese Taktik durchaus funktioniert.

Insofern blickt der Manager, der 1992 erstmals als Arbeitsvermittler für die Arbeitsagentur nach Dresden kam und die Stadt seitdem schätzt, „grundsätzlich optimistisch“ in die Zukunft, für die Firma und den Standort. „Auch wenn ich auf den Corona-Knick gut hätte verzichten können.“

Von Lars Radau

 

Dieser Artikel steht seit dem 24.07.2020 auch unter dem folgenden Link zur Verfügung:

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